Von Angesicht zu Angesicht
Die einfachste Übung, um in Verbindung zu kommen, ist ein Spiel, das oft Kleinkinder und Erwachsene miteinander spielen: Ich mache nach, was Du tust und Du machst nach, was ich tue. Es entsteht ein Hin und Her mit lachendem Gesicht. Mit Musik nennen wir es Tanz, Freude und Verbindung schaffend bis ins höchste Alter. Die Partner üben einander zu sehen, zu hören oder zu fühlen, in Bruchteilen einer Sekunde mit ihrer Bewegung zu antworten und eigene, neue Impulse zu setzen. Sehr genau nehmen sie wahr, ob es zu einem Ungleichgewicht kommt, das Gegenüber aufhört „zuzuhören“, keine eigenen Impulse setzt oder anfängt bestimmen zu wollen. Geschieht das, kann Spannung entstehen, weil das Spiel auf freiwilliger Mitwirkung seinen Zauber entfaltet. Sofort verändert sich das Gesicht, wenn aus Resonanz Dissonanz wird. Es sei denn, einer ist Lehrer*in und kennt die ganze „Wahrheit“ eines Tanzes. Zwischen Mose und Gott, so erzählt die Bibel im 2. Buch Mose 33, kommt es immer wieder zu Resonanz. Beide hören aufeinander, werden einander vertraut. Als aber Mose Gott ganz sehen will, von Angesicht zu Angesicht, ihn in seiner ganzen „Wahrheit“ erkennen, verwehrt ihm Gott dies. Nicht abrupt, sondern liebevoll. Mose soll als Mensch Gottes ganze Herrlichkeit noch nicht sehen, um mit seinen Mitmenschen weiterhin in Resonanz gehen zu wollen und zu wissen: Ich habe nicht die Wahrheit, noch bin ich sie. Sie bleibt auch mir in diesem Leben verborgen, damit ich Deine Wahrheit achte und mit Dir „tanzen“ will und kann. Die Wahrheit bleibt Gottes, Grundlage aller Demokratie.
Pastor Wolfgang Stahnke, Klinikseelsorger in Bad Oldesloe