Windschutzscheibengebet
Sie sitzt im Auto auf dem Weg zu einem Termin. Das Radio läuft leise. Es ist ein Bericht über die Lage des eskalierten Nahostkonflikts. Worte wie Krieg, grausame Gewalt an unschuldigen Menschen, Demos in Berlin, politische Positionierungen dringen an ihr Ohr. Fakten um Fakten werden ihr entgegengeschleudert und lassen die Schreckensszenarien und dahinter stehenden Lebensschicksale erahnen.
Sie fährt auf den Seitenstreifen. Stellt den Motor ab, dann das Radio. Die Scheibenwischer erstarren. Sie schaut durch die Windschutzscheibe. Dicke Tropfen prasseln auf die Scheibe und lassen ihren Blick verschwimmen.
Da vibriert das Smartphone mit einer push-Nachricht. Im interreligiösen House of one in Berlin beten jüdische, muslimische und christliche Menschen gemeinsam: „Lass uns einen Weg finden, die Spirale der sich immer weiter erweiternden Gewalt zu verlassen.“
Als sie den Blick hebt, sieht sie, wie die Wassertropfen auf der Scheibe zu einem breiten strömenden Rinnsal verschmelzen. Die Worte des Gebets klingen in ihr nach und sie fügt ihnen eins hinzu. Sie sagt es laut in das Trommeln des Regens. „Amen“.
Pastorin Lea Thermann, Ev.-luth. Kirchengemeinde Schönberg