Ev. - Luth. Kirchenkreis Plön-Segeberg

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Mit Passion nach Oberammergau

Pastor Andreas W. Lüdtke berichtet in Kurzform eine Woche lang von den Passionsfestspielen in Oberammergau

14. August


Pastor Andreas W. Lüdtke ist im Einsatz in Oberammergau bei den Passionsspielen 2022. Das wurde möglich durch ein Angebot der Evangelischen Landeskirche Bayern für die Besucher:innen des Ortes und der Festspiele. Zu seinen täglichen Aufgaben gehören ein morgendlicher Abendmahlsgottesdienst, eine Orgelandacht zur Mittagszeit und die Bereitschaft, für Gespräche zwischen den beiden Teilen der Aufführungen (von 17:00 bis 20:00 Uhr) zur Verfügung zu stehen.
In den nächsten sieben Tagen wird Pastor Lüdtke auf der Homepage täglich kurze Eindrücke von seiner Zeit in Oberammergau posten.

8. August:
Nach langer Reise endlich vor Ort. Ausgestattet, zugerüstet. Freue mich auf meinen Dienst.

9.  August:
„Da fährt der Bruder von Jesus ...“, sagt Pfarrer Peter Sachi zu mir, als er einem vorbei radelnden jungen Mann hinterherblickt. Wir stehen vor der Ev.-Luth. Kreuzkirche in Oberammergau, in der ich heute morgen meinen Dienst angetreten habe.
Zum täglichen Abendmahlsgottesdienst kamen knapp über 40 Menschen, darunter eine sehr sangeskräftige Gruppe aus einer deutschsprachigen Gemeinde Südafrikas.
Die Organistin erschien nicht – und besagte Gruppe hat den Gottesdienst musikalischen Part getragen, ach was, erst ermöglicht.
Nicht nur durch das Anstimmen der ausgewählten Lieder und lautstarken Gemeindegesang. Sondern vielmehr noch durch den ansteckenden Impuls, während der Austeilung Lieder aus Taizé zu singen. Es war eine Freude!Am Nachmittag dann durfte ich bei der Gästebetreuung mitwirken. Das bedeutet, dass die Besucher:innen der Passionsspiele in den drei Stunden Pause zwischen 17 und 20:00  Uhr sich im Ort die Beine vertreten und - wenn sie an der Kreuzkirche vorbeikommen – für Erfrischungen und „Chat und Shade“ in den Innenhof neben dem Kirchgebäude gebeten werden.
Mehrere anregende und auch berührende Gespräche habe ich dort geführt.Und dann, gegen 19:30 Uhr, strömen die Menschen zurück zum Festspielhaus für den zweiten Teil. Als Fußgänger. Diejenigen, die mit dem Rad daherkommen, sind in der Regel Mitwirkende.
Und als um 19:50 Uhr ein sehr energisch in die Pedale tretenden junger Mann an Pfarrer Sacchi und mir vorbeiradelt, sagt der Kollege zu mir: „Da fährt der Bruder von Jesus ...“
Dieser Ort lebt die Passionsspiele So viele Mitwirkende! Und sie sind (fast) überall anzutreffen. Als Wirt. Als Geschäftsführerin des Naturkostladens. Als Fotograph am Nachmittag. Und wenn es schnell gehen muss – auch auf dem Fahrrad.
Als Bruder von Jesus.

10. August:
„Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mt 18,20)
Montags und mittwochs ist passionsspielfrei. Der Morgengottesdienst der evangelischen Gemeinde hingegen wird täglich angeboten.
Im Vorfeld wurde mir schon gesagt, dass darum mit einer Zahl von Besucher:innen „zwischen null und sieben“ zu rechnen sei. Und so war es dann am Mittwoch auch.
Kurze Abstimmung, wie wir damit umgehen wollen.
Und dann hat sich die Mesnerin (Küsterin) eines ihrer Lieblingslieder gewünscht, das wir aus voller Kehle gesungen haben. Der Organist ließ seine Konzertreife aufblitzen. Und nach den liturgischen Bestandteilen Gruß, Vaterunser und Segen gingen wir drei wieder unserer Wege.
Aber keineswegs enttäuscht darüber, dass wir unter uns geblieben waren. Sondern in der Gewissheit, bestmöglich in diesen Tag gestartet zu sein.

11. August:
Im Passionsspiel wirken so viele Menschen in den unterschiedlichsten Bereichen mit, dass es gefühlt kaum jemanden aus dem Ort gibt, der nicht beteiligt ist. So viele sind dabei als Feuerwehrleute und Ordner, Musikerinnen und Sänger, Technikerinnen und Bühnenbauer.
Und natürlich als Mitwirkende. Wobei die Männer schon auf den ersten Blick zu erkennen sind – lange Haare und Vollbart.
Frauen wie Männer erzählen sehr gerne von ihrer jeweiligen Rolle. Die Lust am darstellendenSpiel hat sie gepackt – das ist mir vertraut.
Das Ehepaar, das mir die Ferienwohnung vermietet hat, spielt ebenfalls mit. Sie hat einen Laden im Zentrum Oberammergaus und steht deswegen als „eine Frau aus dem Volk“ jeweils erst in der zweiten Hälfte des Spiels, also ab 20.00 Uhr, auf der Bühne.
Er ist – wenn privat nicht gerade selbständig tätig – einer von den Hohenpriestern und darum von Anfang bis Ende dabei. Er berichtet mir von der Altersspanne der Darsteller in seiner priesterlichen Gruppe – sie reicht aktuell von 17 bis 91 Jahren. Als er vom Miteinander und Zusammenhalt erzählt, beginnen seine Augen zu leuchten. „Eine tolle Truppe!“, sagt er. Und ich glaube es ihm sofort.
Der Hohepriester und seine Frau – und für einige Tage auch ich – wohnen übrigens im „Himmelreich“!

12. August:
Morgens, kurz nach neun Uhr. Drei Frauen aus Deutschland und vier Engländerinnen aus Norfolk und südlich von London haben bereits in der Kirche Platz genommen. Alles klar, es wird wieder einen fröhlich-zweisprachigen Wechsel meiner liturgischen Stücke geben. Und die Gemeindeantworten erfolgen sowieso in der jeweils eigenen Sprache. Für das Abendmahlslied „Kommt mit Gaben und Lobgesang“ gibt es im hiesigen EG sogar drei englische Strophen. Der Organist und ich nicken uns zu – wir sind vorbereitet.
Plötzlich wird der Mesner unruhig. Er verschwindet in der Sakristei und kehrt mit weiteren Hostien zurück. „Da kommt eine Gruppe!“, raunt er mir auf seinem Weg zum Altar zu. Und tatsächlich: Pastor Jerry und Pastor Matt stehen auf den Eingangsstufen zur Kirche und kündigen fröhlich ihre 37 köpfige Gruppe aus Wisconsin / USA an.
Okay. Dann diesmal die Einsetzung des Abendmahls komplett auf englisch. Weil die Amis quietschbunte Anhänger vor der Brust baumeln haben, auf denen ihr Vorname steht, kann ich Christi Leib auch persönlich austeilen: „The Bread of Life for you, Brenda ...“, „... for you, John ...“
Unsere Liedauswahl wird noch einmal mehr anglisiert: „Morning has broken“ statt „Morgenlicht leuchtet“. „Ausgang und Eingang“ behalten wir allerdings bei. Ich übersetze den Inhalt und der Kantor „zwingt“ die Gemeinde in einen vierstimmigen Kanon hinein. Herrlich! Und die Besucher:innen – allen vorweg diejenigen aus Wisconsin – bedanken sich beim Verabschieden überschwänglich dafür, dass sie sich bei uns ein klein wenig wie zuhause fühlen durften.

13. August:
Meine Zeit hier in Oberammergau nähert sich ihrem Ende. Mittlerweile habe ich das Gefühl, hier gut angekommen zu sein.
Die Innenstadt durchquere ich schon seit drei Tagen ohne Straßenkarte – und gelangeauch tatsächlich an meine jeweiligen Ziele.
Der langhaarige und vollbärtige (natürlich!) Busfahrer der Tourismuslinie Richtung Festspielhaus grüßt mich mittlerweile ebenso wie der Sensenmann (so nenne ich für mich unseren Nachbarn, der das Heu für seine Schafe noch so wie früher mäht).
Nachmittags, in der dreistündigen Festspielpause, lade ich die Menschen auf der Straße zu Erfrischungen und Gesprächen in den Innenhof neben der Kreuzkirche. In meiner Art der Ansprache habe ich – ohne es zu merken – wohl mittlerweile solch einen Ton drauf, dass mir gestern die Stelle des Militärseelsorgers in Fritzlar angeboten wurde.
Apropos Gästebetreuung, neben Abendmahlsgottesdienst und Orgelandacht ja das dritte Angebot der Kirchengemeinde an den Spieltagen: Wie schnell Gespräche mit unbekannten Menschen, die mit freundlichem Smalltalk beinahe banal beginnen, in eine Tiefe und Offenheit gehen, das ist sehr bemerkenswert.
Wie gut, dass die Kirchengemeinde solch ein Angebot vorhält!

14. August:
In der Einführung in das Passionsspiel durch dessen Spielleiter Christian Stückl habe ich noch eine Zusatzinformation zum Zusammenhalt der Mitwirkenden untereinander bekommen, die ich hier gerne weitergebe: In der Szene, in der Jesus die Händler aus dem Tempel vertreibt, zerbricht der wütende Gottessohn an 110 Nachmittagen regelmäßig einen großen Tonkrug.
Im Anschluss an die Vorstellung wird der Krug wieder zusammengeklebt und den Mitwirkenden zum Kauf angeboten. Und weil tatsächlich jeder Krug verkauft wird, kommt im Laufe einer Spielzeit eine hübsche Summe zusammen. Und davon wird dann das „Händlerfest“ gefeiert. Alle, die dazu beitragen, dass die Passionsspiele stattfinden können, feiern dann miteinander – und alles ist frei!
Ja, und schließlich das Passionsspiel selber.
Ich durfte es besuchen. Und es war ergreifend. Die sehr breite Bühne und die Vielzahl von Mitwirkenden haben mich – gerade bei den Volksszenen – in ihren Bann gezogen.
Dazu kamen der gewaltige Chor und ein tolles Orchester, so dass ich tatsächlich das Gefühl gehabt habe, mittendrin statt nur dabei zu sein.
Ich erfreute mich an schönen Regieeinfällen. Beispielsweise wendet sich Jesus beim Einzug in Jerusalem sich vor allen anderen zuerst den Kindern zu und verteilt Brot an sie. Oder König Herodes mäandert durch seinen beginnenden Wahnsinn. Und – mein persönliches Highlight – Judas wurde von Cengiz Görür einfach großartig verkörpert.
Meinen Genuss des Passionsspiels etwas getrübt haben allerdings diejenigen Besucher:innen – und es waren tatsächlich mehrere – die trotz der entsprechenden Hinweise im Vorfeld während der Vorstellung fotografiert und gefilmt haben.
Aber diese Deppen kriegen den Eindruck, den das Passionsspiel in ihr hinterlassen hat, beileibe nicht zerstört. Es war ein grandioses Erlebnis und der krönende Abschluss einer erfüllten Woche, die ich im Dienst der Bayerischen Landeskirche in Oberammergau verbringen durfte.
Und ich danke für Euer Interesse an meinen täglichen Berichten, die hiermit enden.

Andreas W. Lüdtke

 

Hintergrund

Ein ganzes Dorf spielt Theater: Seit 1634 führen die Bewohner Oberammergaus alle zehn Jahre die Geschichte vom Sterben und der Auferstehung Jesu auf. In diesem Sommer ist es wieder so weit – und Touristen aus aller Welt strömen in die bayerische Gemeinde. Es sind wieder Passionsspiele in dem Alpendorf, das 20 Kilometer nördlich von Garmisch-Partenkirchen liegt. Die ersten Passionsspiele seit zwölf und nicht wie üblich zehn Jahren – 2020 mussten die Aufführungen wegen Corona abgesagt werden, die Veranstalter um den Theatermann Christian Stückl verschoben gleich auf 2022. Covid-19 gibt es zwar weiterhin, doch sind in Deutschland alle Großveranstaltungen wieder uneingeschränkt erlaubt, so auch die Passion. Zu den geplanten 103 Vorstellungen des Theaterstückes über Leben, Sterben und Auferstehung Jesu Christi sollen bis zum Herbst 450.000 Besucher in das hölzerne Festspielhaus kommen. Ein Drittel der 5400 Einwohner steht bei diesem größten Laientheater der Welt selbst auf der Bühne – 1400 Erwachsene und 450 Kinder. Die meisten haben kleine, stumme Rollen, sie sind das „Volk“. Es ist ein riesiges, globales Spektakel mit religiösem Inhalt. Ohne das Gelübde gäbe es das alles nicht im Dorf. 1633 wütete die Pest, 80 Bewohner fielen ihr zum Opfer. Als die Seuche verschwand, versammelten sich die Menschen auf dem Friedhof und lösten ihr Versprechen ein, 1634 war das: Alle zehn Jahre spielen sie zum Dank die Passion. Solche gibt es auch anderswo, Oberammergau ist aber weltweit die mit Abstand größte. Jeder Bewohner hat das Recht mitzuspielen. Seit seiner ersten Passion von 1990 wird Stückl als großer Reformator angesehen, der das Stück mehr und mehr entstaubt. Zu Beginn hatte ihm die katholische Kirche noch eine Art theologischen Berater zur Seite gestellt, den er aber nach einiger Zeit abschütteln konnte. Er sagt, er habe bei den antisemitischen Stellen der Textfassung „richtig heftig eingegriffen“ und sie durchweg gestrichen.