Ev. - Luth. Kirchenkreis Plön-Segeberg

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„Lasst euer Licht leuchten!“

Rede zum Jahresempfang des Kirchenkreis Plön-Segeberg am 17. Juni in Plön von Propst Dr. Daniel Havemann

Liebe Schwestern und Brüder,

2011. Kirchentag in Dresden. Nach einem schönen ersten Tag standen wir mit unserer Gemeindegruppe aus Jördenstorf oben auf den Brühlschen Terrassen und schauten auf die Elbe. Es war ein lauer Frühsommerabend. Auf beiden Ufern sammelten sich schon zehntauschende Menschen und aus der Stadt strömten immer mehr an den Fluss. Es wurde dunkel, dann läuteten alle Glocken der Stadt. In diesem Moment wurden die Kerzen entzündet, die die Menschen in den Hän-den hielten. Fast 300.000 Kerzen verwandelten die Ufer der Elbe in ein Lichter-meer. Auch der Fluss erglühte durch zahllose erleuchtete Lampions. Von einem Posaunenchor klang ein Abendchoral herüber. Ein magischer Moment. „Lasst euer Licht leuchten!“ – nie habe ich das so erlebt.

In unserem Alltag schlägt sich das nicht immer nieder. Da ist Kirche oft unsicht-bar: Zerstreut in den vielen kleinen Themen und Sorgen. Gefangen in der Selbst-beschäftigung von Strukturprozessen. Unsicher in der Frage, was man in einer säkularen Umwelt noch sagen darf. Getrieben, den Mainstream nicht zu verpas-sen. Erstarrt angesichts von Mitgliederschwund und Finanzentwicklung
„Lasst euer Licht leuchten!“ – das ist schwer in dieser Zeit. Es ist schwer für eine „Botschaft“ im Informationszeitalter. Es ist schwer, Gemeinde zu sein in einer Zeit der Individualisierung und Ausdifferenzierung. Es ist schwer, Werte zu vermitteln in einer Welt, in der sich alles wandelt. Dazu die Verunsicherung durch viele Kri-sen, durch zwei Jahre Corona und vier Monate Krieg vor unserer Tür. Wie passen wir mit unserer alten Botschaft in diese neue Welt?

„Lasst euer Licht leuchten!“ Ich bin überzeugt: Unser Licht wird gebraucht! Am Os-tersonntag des ersten Corona-Jahres flog ein rotes Propeller-Flugzeug über unse-ren Kirchenkreis und zog ein Banner hinter sich her, mit drei Bibelworten: „Glau-be, Liebe, Hoffnung“. So banal es klingt: Ich glaube, es ist genau das, was unsere Welt heute braucht, was sie von uns braucht.
„Glaube“: Die Menschen lechzen nach Sinn. Ohne Sinn kann niemand leben aber der Sinn ist nicht mehr einfach da. Nicht mehr vorgegeben. Jeder will und muss ihn selbst für sich finden. Wir Christen sind Sinn-Experten und wir haben der Erfahrungsschatz von drei Jahrtausenden Sinn-Suche.
„Glaube“: Das ist Sinn, der nicht nur über den Moment hinausreicht und über die eigene Person. Das ist Sinn, der sich festmacht außerhalb unserer erfahrbaren Wirklichkeit

„Liebe“: Ein Grundproblem unserer Gesellschaft ist „Einsamkeit“. Nicht nur durch Corona. Dazu gibt es einige neue Studien. Ob Vereine, Großfamilien, Dorfstrukturen – die traditionellen Bindungen lösen sich auf. Man zieht sich auf die Kernfamilie zurück, die wichtig wird wie lange nicht, aber auch sie steht in Frage. Dabei sind gleichzeitig so viele Identitäts-Aufgaben zu lösen wie nie. Ju-gendliche werden darüber krank. Männer und Frauen verlieren das Vertrauen in die Grundlagen unserer Gesellschaft, in Wissenschaft, Politik und Medien, weil sie sich als ungesehen erleben und ungehört. Als einsam. Die soziale Schere geht auseinander. Die Populisten werfen ihre Angeln aus. All das schafft Spaltung. Corona war auch hier ein Brandbeschleuniger.

Was wir brauchen, ist Liebe: Liebe, die zuhört. Liebe, die rechtfertigt. Liebe, die erträgt – auch da, wo Menschen schwer zu ertragen sind. Liebe, die Gemein-schaft stiftet. Diese Liebe schlägt Brücken über die vielen kleinen und großen Brüche, die sich überall auftun in der Welt und mitten unter uns.

„Hoffnung“: Was um sich greift, ist Angst.Die Angst um den Wohlstand. Die Angst um die Identität. Die Angst um die Zukunft. Wie soll das alles enden?
Wir sind Botschafter der Hoffnung. Wir sind Zeugen dafür, dass es gut wird. Wir stehen dafür, dass Gott diese Welt nicht fallen lässt, dass es die stärkeren Kräfte sind, die auch mitten im Schrecken zum Guten wirken.

„Glaube – Liebe – Hoffnung“: Das ist es, was unsere Welt von uns braucht. Was sie von Gott braucht. Aber unsere Gesellschaft braucht das in neuer Weise. Wir können nicht einfach weitermachen wie bisher. Es reicht eben nicht, diese Bot-schaften zu verkünden, so wie wir selbst sie verstehen.
Auf unserem letzten gemeinsamen Pastorenkonvent in Bornhöved von zwei Wochen hatten wir eine Diakonin zu Gast, die uns von einer anderen Kirchenform erzählte: „Fresh X“ – „Fresh Experiences“ – „Neue Erfahrungen“. So nennt sich diese Bewegung, die vor allem in England und den Niederlanden aktiv ist, aber sich auch in Deutschland etabliert. Es geht um neue Formen von Kirche, in der Glaube auf neue Weise miteinander gelebt wird. Zwei Grundsätze bestimmen diese Kirchen-Projekte, die auch für unsere kirchliche Arbeit bestimmend sein sollten:
Das Erste: Gott ist schon da. Gottes Geist weht, wo er will. Wir müssen ihn nicht erst zu den Leuten tragen, sie haben ihn schon. Sie haben längst Erfahrungen mit Gott gemacht, auch wenn sie es anders nennen.
Das Zweite: Gemeinsam auf die Suche gehen. Wir meinen ja als Kirche meist zu wissen, was für andere gut ist und das wollen wir ihnen dann zur Verfügung stel-len. Fresh X dagegen startet damit, die anderen besser kennenzulernen. Ein Pro-jekt z.B. begann damit, für einige Monate mit einem roten Sofa und Kaffee durch das Stadtviertel zu ziehen und mit Leuten über ihr Leben und ihren Glauben ins Gespräch zu kommen. „Was brauchen die anderen von uns?“ – diese Frage soll-ten wir uns und ihnen stellen. „Was können wir gemeinsam tun?“ – diese Frage schließt sich an. Wir brauchen andere, um zu wissen, was heute dran ist. Und wir brauchen sie, um es auf den Weg zu bringen.

Wie kann unsere Kirche leuchten? Ich erlaube mir einige Thesen und Apelle:

1. Ja zum Wandel!
Grundlage für eine gute Zukunft ist, dass wir die Gegenwart annehmen. Und zu ihr gehört der Wandel. Änderung macht Angst. Gegen Angst helfen konkrete Schritte, mit denen man sich zeigt, dass man handeln kann und nicht ausgeliefert ist. Für diese Schritte helfen Hoffnung und Vertrauen. Da ist es, was wir predigen und das ist es, was wir selbst leben müssen. Den Wandel anzunehmen, heißt auch, die sogenannte Säkularisierung anzunehmen. Strukturell ist sie für uns ein Problem, aber geistlich ist sie auch ein Gewinn. So schwierig uns die Gesellschaft auch erscheint, sie ist auch durchsättigt mit christlichen Werten. Dass jede und jeder selbst auf Sinnsuche ist, das ist ur-lutherische Lehre. Und dass wir durch kleiner werdende Ressourcen die anderen für unsere Arbeit wirklich brauchen, das wird uns guttun.
Den Wandel anzunehmen, heißt auch zu akzeptieren, dass wir den Megatrend des Mitgliederschwunds nicht aus eigener Kraft werden aufhalten können. Das müssen wir auch nicht. Das ist Gottes Aufgabe. Und wenn er es nicht will, dann werden wir uns auf kleinere Zahlen einstellen. „Salz der Erde – Licht der Welt“ Je-sus benutzt als Bilder für uns Dinge, die nicht von der Menge leben, sondern die auch als kleines Großes bewirken.

2. Raus aus der Selbstbeschäftigung!
Um uns für die Zukunft fit zu machen, drehen wir jetzt an großen Rädern. Und wir haben schon einiges geschafft. Das Problem: Diese Prozesse absorbieren zu viel Energie. Sie dauern zu lange. Und wir kapseln uns in diesen Zeiten oft genug ein und verbrauchen alle freie Kraft für unsere eigene Struktur. Wir brauchen mehr Leichtigkeit, Mut zu Entscheidungen, auch Fehlerfreundlichkeit, Nachsteue-rung – denn der Wandel wird uns nicht verlassen. Zusätzlich können wir andere mit einbeziehen und unsere Prozesse im Vollzug für andere fruchtbar machen.

3. Leichtes Gepäck!
Unsere Prozesse suggerieren, wir würden jetzt etwas bauen, was dann für Jahr-zehnte funktioniert. Dabei ändern sich die Anforderungen manchmal täglich. Wir brauchen agile Strukturen, die sich leicht anpassen lassen an neue Herausforde-rungen, aber auch an neue Ideen. Wir brauchen Formen, mit denen wir kleiner werden können. Und wir sind schon dabei, sie zu schaffen. Unsere angestoßene Verwaltungsreform, das KiTa-Werk und unser Neubau gehören dazu.

4. Zeit für Experimente!
Wenn so vieles offen ist, dann ist das auch eine Chance. Dann gibt es offenes Land, was bebaut werden kann. Niemand weiß heute, was sich übermorgen be-währen wird, also müssen wir etwas ausprobieren. Das heißt, mit anderen auf die Suche zu gehen, voneinander zu lernen. Das heißt auch, Fehler zu machen, wie-der aufzuhören, neu anzufangen und nachzujustieren.

5. Mut zur Pause!
Wenn man so viel machen will, dann muss man auch was lassen. Oder wenigs-tens Energie dafür runterfahren. Was kann das sein? Auch das müssen wir aus-probieren! In der beruflichen Arbeit hat sich das Sabbatical bewährt, um aufzu-tanken, um sich fit zu machen für die nächsten Schritte und für große Entschei-dungen. Wir Pastores haben jedenfalls die Möglichkeit dazu. Warum nicht auch Sabbaticals für unsere Kirchengemeinden? Warum nicht für Gruppen, Kreise und Angebote? Warum nicht auch mal für den Sonntags-Gottesdienst? In den Pausen werden wir spüren, was uns wie wichtig ist.
Pausen sind auch auf Dauer wichtig. Wir müssen nicht alles immerzu machen. Wir brauchen Rhythmen in unserem Gemeindeleben und in unseren Gruppen. Auf Zeiten der Power folgen Zeiten der Entspannung. Die Kontinuität wird eher eine Abfolge von Projekten. Das entspricht auch unserer Lebensrealität und den Bedürfnissen der Menschen, die wir neu gewinnen wollen.

6. Mut zur Vielfalt
Die Lösungen, die wir finden, werden unterschiedlich sein. Das ist gut! Aber es ist auch anstrengend. In der Corona-Krise haben wir das gemerkt, als überall un-terschiedliche Gottesdienst-Regeln galten. Aber es war richtig, das als Kirchen-kreis freizugeben und keinen Druck aufzubauen, sondern es in den Gemeinden zu entscheiden. Das hat kaum ein anderer Kirchenkreis in dieser Freiheit getan. Wir üben dabei, uns gegenseitig in unserer Unterschiedlichkeit zu achten. Das werden wir auch in Zukunft dringend brauchen. Dann schafft Vielfalt Freiräume, weil nicht jeder alles machen muss.

7. Neue Wege der Finanzierung!
Als nach der Wende die Kirchensysteme im Osten an die westlichen angegli-chen wurden, gehörte ich zu denen, die gegen die Kirchensteuer sturmgelaufen sind. Heute bin ich heilfroh, dass man nicht auf mich gehört hat und dass wir die Kirchensteuer heute haben. Als alleinige finanzielle Säule aber wird sie uns nicht tragen. Es wäre gut gewesen, schon in guten Jahren parallel andere Finanzstruk-turen aufzubauen. Aber auch jetzt ist dafür noch Zeit. Eine Idee ist z.B. das meck-lenburgische Gemeinde-Kirchgeld, noch vor 10 Jahren eine Art lokale Kirchen-steuer, heute ein strukturierter jährlicher Spendenaufruf, der an alle Gemeinde-glieder geht und dessen Ertrag vollständig in der Kirchengemeinde verbleibt.
Wir sollten auch darüber nachdenken, inwiefern wir als Kirche wirtschaftlich tä-tig werden wollen. Andere Kirchenkreise und auch Kirchengemeinden machen das längst, mit guten Erfahrungen.
In jedem Fall brauchen wir Fundraising in neuer Struktur und in neuer Dimensi-on. Das haben wir auf der Synode schon thematisiert, und das wird bald wieder Thema sein. Es ist die älteste Finanzquelle von Kirche überhaupt. Und was sie heute bewirken kann, dass sehen wir bei vielen Förderkreisen und -projekten in unseren Kirchengemeinden. Jetzt aktuell z.B. beim Fundraising für die neue Orgel in der Segeberger Marienkirche: Die 1,5 Mio. Euro sind nach vielen Einzelspen-den jetzt durch eine europäische Fördermittelzusage vollständig refinanziert.

8. Familien in die Mitte!
Die Familien waren und sind die Kerne der Gesellschaft, und die Kleinfamilie hat heute eine überraschende, neue Relevanz. Als Kirche sind wir seit jeher Familien-spezialisten. Unsere Kindertagesstätten heute sind ein riesiger Schatz. Lassen Sie uns um diese her in neuer Dimension Familien- und Bildungsarbeit machen, auch generationsübergreifend! Mit dem KiTa-Werk und der Neuausrichtung der halben Stelle im Bildungswerk haben wir dafür wegweisende Grundlagen gelegt.

9. Andere leuchten lassen!
Unsere Kirche ist nach meiner Wahrnehmung nach wie vor sehr pastoral und hauptamtlich ausgerichtet. Ich behaupte: Sie ist im Kern immer noch eine Pasto-renkirche. Ehrenamtliche sind oft eher Unterstützung der Pastores und manch-mal auch Lückenbüßer. Das ist ein schwieriges Erbe lutherischer, vor allem neu-lutherischer, Tradition aus dem 19. Jahrhundert. Heute haben wir die Chance auf eine neue Ehrenamts- und Mitarbeiterkultur. Ich verstehe uns Pastorinnen und Pastoren, ich verstehe viele Hauptamtliche vor allem als Trainerinnen und Trai-ner. Unsere Hauptaufgabe als Pastorinnen und Pastoren ist nicht, selbst zu leuch-ten, sondern andere mit ihrem Licht zum Leuchten zu bringen.
Mir geht es dabei nicht um eine Be-, sondern um eine Entlastung der Kirchge-meinderäte. Wir schaffen für sie mehr Unterstützung. Es gibt dann mehr Schul-tern, mehr Struktur auch unterhalb der Kirchgemeinderäte. Die Pastores, Mitar-beitende und Ehrenamtliche begegnen sich auf Augenhöhe. Wenn Aufgaben übergeben werden, dann geht die Verantwortung mit.

10. Mut zur Botschaft!
Ich erlebe uns oft als verunsichert, was wir in säkularen Welt noch sagen dürfen, weil wir Angst haben, Menschen zu verprellen. Aber unsere Botschaft ist unser Auftrag. Sie ist das Licht, das durch uns leuchten soll. Lassen Sie uns mutig und pointiert die Bibel übersetzen in unsere Zeit.
Mut braucht es als Kirche nicht nur, um die Mauern unserer Kirchgebäude zu verlassen, sondern auch die Mauern unserer Kirchensprache. Es ist eine Chance, dass unsere theologischen Begriffe unbekannt geworden sind, so müssen wir sie übersetzen – und zwar bitte nicht in neue Begriffe. Deshalb: Weg von den Sub-stantiven – hin zu Geschichten! Weg von Behauptungen – hin zu Bekenntnissen! Konkret, persönlich, überraschend und relevant: So überzeugt, was wir sagen.

Letztes Wochenende waren die Landes-Posaunentage in Plön. Der Festgottes-dienst am Sonntag war auf der Wiese vor dem Schloss, bei strahlendem Sonnen-schein. Allein 800 Bläser waren dabei. Und auch etliche von Ihnen. „Da ist Platz für dich!“ – so lautete das Motto.
Die Bläserinnen und Bläser sind sicher eine besondere musikalische Gemeinschaft. Für mich war dieses Fest gleichwohl ein Bild dafür, was wir als Kirche sind und sein können:
• Eine große Familie über alle Generationen.
• Eine Kirche, die Platz macht für andere und die sich Platz sucht, mitten in unseren Städten und Dörfer.
• Eine Kirche, die sich Gehör verschafft.
• Eine Kirche, die rausgeht dahin, wo das Leben spielt – dafür wurden die Po-saunenchöre erfunden.
• Eine Kirche, die diakonisch lebt und die diejenigen besucht, die nicht kom-men können.
• Eine Kirche, in der die Ehrenamtlichen die Musik machen und sie auch lei-ten, während Hauptamtliche ihnen dabei zur Seite stehen.

„Lasst euer Licht leuchten!“ Als Sie zu Beginn dieses Abends die Kerzen an die-sem Tisch entzündeten, da fühlte ich mich an den Kirchentag in Dresden erinnert. Es ist ein wundervolles Bild für diesen Satz, der uns nun ein gutes Jahr begleiten wird: „Lasst euer Licht leuchten!“ Ich freue mich auf dieses Licht!

Vielen Dank

Propst Dr. Daniel Havemann

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